Wenn das Leben ernst wird


Umweg, Sackgasse, Abkürzung: Viele Wege führen ins Arbeitsleben. Wie sich ein wandelnder Arbeitsmarkt und Bedürfnisse nachrückender Generationen auf den Berufseinstieg auswirken – und welche Stolpersteine und Freiheiten den Weg säumen.
- Kapitel 1Berufseinstieg: Wenn das Leben ernst wird
- Kapitel 2Lehre: Vor dem Start der Hürdenlauf
- Kapitel 3Start-up: Sprung ins kalte Wasser
- Kapitel 4Praktikum: Gut ausgebildet, schlecht bezahlt
- Kapitel 5Sinnsuche: Arbeit als Mittel zum Zweck
- Kapitel 6Interview: «Man rät den Jungen oft, etwas ‹Richtiges› zu lernen. Schade»
Start-up: Sprung ins kalte Wasser
Patrik Kuster (25).
Auf halben Weg hat Patrik Kuster sein Studium zurückgefahren, um mit einem Start-up direkt in die Berufswelt einzusteigen. Viel Arbeit, wenig Freizeit, dafür Praxis statt Theorie: passt für ihn.
Patrik Kuster mag es gern zügig und direkt. Nach der Matura ging es ohne Zwischenhalt ins Studium, Wirtschaft und Recht an der Universität St. Gallen. Dort möglichst fix zum Bachelor und zum Master. Und danach ein Job, irgend etwas im Beratungssektor. Das war ursprünglich der Plan.
Es ist anders gekommen – Patrik Kuster hat noch einmal eine Abkürzung gefunden. «Ich bin Lampenverkäufer geworden», sagt er und lacht laut. Das braucht eine Präzisierung. Der 25-Jährige ist zuständig für Verkauf und Finanzen bei einer Zürcher Start-up aus dem Technologiebereich. LEDCity entwickelt intelligente Beleuchtungssysteme: In LED-Röhren einbaute Sensoren sorgen dafür, dass das Licht nur dann und in der richtigen Stärke leuchtet, wenn es gebraucht wird. Dadurch lässt sich im Vergleich zu konventionellen Systemen 90 Prozent an Energie einsparen. Die Geschäfte sind gut angelaufen. «Es ist die richtige Zeit für solche Nachhaltigkeitslösungen», so Kuster, ganz der Verkäufer.
Für ihn selber war vor zwei Jahren die richtige Zeit für einen Richtungswechsel. Im Studium war der Frust laufend gewachsen. Zu theoretisch war ihm der Stoff dort, zu gross die Flughöhe. «Ich hatte das Gefühl, stehen zu bleiben. Das hat mir noch nie behagt.» Im Praktikum auf einer Bank war er zwar näher an der Geschäftsrealität, aber halt nur ein kleines Rädchen in einer grossen Maschine. «Mir ist es bei der Arbeit wichtig, mit meinen Fähigkeiten Einfluss zu nehmen und direkt zu sehen, wie die Auswirkungen sind», sagt er.
Dass ein guter Freund aus Gymi-Zeiten dabei war, sich mit dem Konzept der optimierten Beleuchtung selbständig zu machen, kam da wie gerufen. Ab Mitte 2017 war Patrik Kuster nur noch Student im Nebenamt, setzte stattdessen seine ganze Energie in den Aufbau der neugegründeten Firma. Er sprang rein, um schwimmen zu lernen, ohne Coaching und langes Überlegen. «Ich bin jemand, der gerne mal etwas ausprobiert und auch ein gewisses Risiko eingeht.»
Wie dünn das Eis ist, auf das sich tatendurstige Neo-Unternehmer begeben, zeigen die Erfahrungswerte aus der Schweizer Gründerszene. Die Kennziffern: Von zehn Start-ups gelingt bloss einem der erhoffte Erfolg, es kann sich also über die kritischen fünf Anfangsjahre hinaus auf dem Markt halten. Eines bis zwei erzielen einen beständigen Umsatz, nicht aber das erwartete Wachstum. Und im Schnitt sieben bis acht Jungfirmen scheitern früher oder später. Für Kuster und seine Kollegen spricht, dass sie finanziell keinen Hochseilakt eingehen mussten, da es im Nachhaltigkeitsbereich vergleichsweise viele Fördertöpfe gibt. Das Kapital zur Firmengründung steuerten unter anderem die Klimastiftung Schweiz bei, auch gab es Gelder vom Bund und der EU.
«Ich bin in der realen Welt angekommen.»
Patrik Kuster, Gründer des Start-ups LEDCity
Dass er damals die «Komfortzone» als Student verlassen hat, um sich selbständig zu machen, hat Durchstarter Patrik Kuster noch keinen Moment bereut. «Ich bin in der realen Welt angekommen», sagt er. Ihm gefällt, dass er bis heute immer wieder Neues dazulernt – «by doing», so wie ihm das passt. Vor allem an die Rolle als Verkäufer musste er sich zuerst einmal gewöhnen. Heute schätzt er es, auch mit Leuten ausserhalb der Studenten-Blase zu tun zu haben, vom Hauswart bis zum Geschäftsführer. «Mein Universum ist grösser geworden.»
Patrik Kuster (25).
Das hat seinen Preis. Die Arbeitsbelastung hat sich im dritten Jahr der Firma, die unterdessen auf elf Angestellte gewachsen ist, zwar stabilisiert, bleibt aber hoch: zwischen 52 und 55 Stunden pro Woche. Darunter leidet das soziale Leben. «Päde, du schaffsch z’vill», hört er von seinen Freunden oft. Tatsächlich muss Kuster Freizeit und Ferien ums Geschäft herum planen. «Früher hatte ich nie einen Terminkalender, jetzt geht es nicht mehr ohne», schmunzelt der Ex-Student.
Arbeit hat für Patrik Kuster einen hohen Stellenwert, zumal für etwas Eigenes. Sich trotzdem die privaten Freiräume zu erhalten, aber ebenso. «Work hard, play hard», das ist die Losung, bloss nicht halbbatzig. Mit dieser Einstellung passt er ins Schema der Generation Y, in das Leute seines Alters gezwängt werden (siehe Illustration).
«Sie können sich in ihre Jobs hineinknien», sagt der Luzerner Soziologe und Arbeitsmarktforscher Peter Kels. «Die Bereitschaft, das auf Kosten des Privatlebens zu tun, ist im Vergleich zu den früheren Generationen allerdings stark gesunken.» Ebenfalls typisch für «Millennials» ist Kusters Antrieb. Arbeit allein als Mittel zum Zweck, Geld zu verdienen, würde bei ihm nicht funktionieren, sagt er. «Sinn muss es machen – und Spass.»
Seinen Bachelor-Abschluss an der Uni hat Patrik Kuster neben allem anderen übrigens doch noch hinbekommen. Für seinen Lebenslauf und als Absicherung, falls es mit der Selbständigkeit doch nicht klappen sollte. «Und ein bisschen auch für meine Eltern». Ihnen wäre lieber gewesen, ihr Sohn hätte den Berufseinstieg schön Schritt für Schritt vollzogen statt mit gerade einmal 23 Jahren die risikoreiche Direttissima zu wählen.
Die beruflichen Pläne für die Zukunft? Nicht konkret. Die nächste Zeit gehört LEDCity, die junge Beleuchtungsfirma soll sich weiter etablieren. Die technologischen Möglichkeiten seien noch lange nicht ausgeschöpft, weiss Kuster. «Gas geben und schauen, wohin wir kommen»: an dieser Devise will er nicht rütteln.
Patrik Kuster mag es nicht bloss zügig und direkt, er hat auch Ausdauer – nicht nur im Job: Der Start am Zürcher Ironman-Triathlon im Juli steht fix in seinem Terminkalender. Einen solchen hat er als Geschäftsmann ja nun.
Viele Wege führen ins Arbeitsleben
Umweg, Sackgasse, Abkürzung – Einstiege ins Berufsleben
Quelle: Beobachter Bewegtbild
Text: Daniel Benz
- Kapitel 1Berufseinstieg: Wenn das Leben ernst wird
- Kapitel 2Lehre: Vor dem Start der Hürdenlauf
- Kapitel 3Start-up: Sprung ins kalte Wasser
- Kapitel 4Praktikum: Gut ausgebildet, schlecht bezahlt
- Kapitel 5Sinnsuche: Arbeit als Mittel zum Zweck
- Kapitel 6Interview: «Man rät den Jungen oft, etwas ‹Richtiges› zu lernen. Schade»