Wenn das Leben ernst wird

Wenn das Leben ernst wird

Redaktorin Tina BergRedaktor und Ressortleiter sowie Stiftungsrat SOS Beobachter Daniel Benz
Von Tina Berg, Daniel Benz, Jasmine Helbling und Birthe Homann
am 20.06.2019 - 14:27 Uhr
Quelle: Philip Bürli

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Umweg, Sackgasse, Abkürzung: Viele Wege führen ins Arbeitsleben. Wie sich ein wandelnder Arbeitsmarkt und Bedürfnisse nachrückender Generationen auf den Berufseinstieg auswirken – und welche Stolpersteine und Freiheiten den Weg säumen.

Sinnsuche: Arbeit als Mittel zum Zweck

Amanda Stämpfli

Amanda Stämpfli (37) mit Tochter Joya (6).

Quelle: Kilian J. Kessler

Wie man zu sich selber findet: Reisen und die Welt erkunden, statt arbeiten und Karriere machen. Zwei Frauen und ihr Weg.

 

«Das Reisen, das gleichsam eine höhere und ernstere Wissenschaft ist, führt uns zu uns zurück.»

Albert Camus, französischer Schriftsteller

 

Eine Reise, die nie aufhört

Es klingt abgedroschen, aber sie meint es sehr ernst: «Mir ist meine Freiheit wichtig», sagt Amanda Stämpfli. Die 37-jährige Ostschweizerin hat schon 26 Länder bereist, von Asien zu den Pazifikinseln bis nach Süd- und Nordamerika. Stämpfli ist Mutter einer sechsjährigen Tochter. «Die Schweiz ist mir zu durchgetaktet, ich mag es einfach und lebensnah.»

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Seit dem Abschluss ihrer Lehre als Dekorationsgestalterin und zweijährigem Jobeinsatz war Amanda Stämpfli immer unterwegs, manchmal auch jahrelang an einem Ort – mit kurzen Abstechern zurück in die Schweiz zum Geldverdienen. Im thailändischen Koh Samui, wo sie sich zur Tauchlehrerin ausbilden liess und so ihren Lebensunterhalt verdiente, lebte sie drei Jahre am Stück. «Es musste aber dann doch immer wieder etwas Neues her. Sehr lange kann ich nicht an einem Ort bleiben.» Sie sei wohl eine Nomadin. Oder eine typische Millennial, eine Vertreterin der Generation Y, die in den 80er bis Mitte 90er Jahre des letzten Jahrhunderts geboren wurden (siehe «Von den Babyboomern zur Generation Z»).

 

«Sehr lange kann ich nicht an einem Ort bleiben.»

Amanda Stämpfli

 

Erst seit ihre Tochter im Kindergarten ist, hat sich Stämpfli in einem Stöckli auf einem Bauernhof im Bernbiet niedergelassen und arbeitet den Sommer durch als Raft- und Kanu-Guide. Sie träumt aber bereits wieder vom Reisen, vom einfachen Lebensstil, vom Einssein mit der Natur. «Vielleicht etwas mit Baumhäusern, gemeinschaftlichem Leben, Workshops, Abenteuertouren, Menschen in Not helfen.» Ideen hat Stämpfli genug. Wohin es sie ziehen wird, weiss sie noch nicht. Irgendwo in die Wärme. Sicher ist für sie, dass ihre Reise weitergehen wird. Mit Tochter Joya, die in Thailand geboren wurde und mit der sie schon 16 Länder bereiste. «Hauptsache, wir sind zusammen.» Als Joya ein Jahr alt war, trennte sie sich von ihrem Vater, einem Franzosen.

Balance zwischen Job und Freizeit

Für die Generation Y oder die Millennials (Jahrtausender) ist es wichtig, sich nicht gleich festzulegen, zu improvisieren, eine gute Balance zwischen Job und Freizeit zu finden, sagt der Berliner Soziologe und Jugendforscher Klaus Hurrelmann. Ihr Lebenslauf habe die Geradlinigkeit verloren, die noch für die Eltern typisch gewesen sei. Das Leben sei für sie viel weniger planbar als früher. Bei allem Stress, den sie empfänden, würden die Ypsiloner dies auch geniessen, weil es sie unabhängig und frei mache, so Hurrelmann in seinem Buch «Die heimlichen Revolutionäre».

Für Sarah Britt, im Gegensatz zu Amanda Stämpfli eine «junge» Millennial, öffnet sich gerade wieder eine neue Tür. «Meine vielen Reisen nach Südamerika waren ein Entwicklungsprozess», sagt die 25-jährige Zürcherin. Erst dadurch sei ihr bewusst geworden, was sie eigentlich wolle. Nämlich: Biobäuerin werden. Die Reaktion ihrer Familie und Freunde darauf sei eindrücklich gewesen: «Endlich hat sie es gemerkt – Sarah muss ‘in die Erde’.»

Sarah Britt

Sarah Britt (25).

Quelle: Kilian J. Kessler
Eine Nomadin wird sesshaft

Soeben hat Britt die vierjährige Ausbildung zur Fachfrau biodynamische Landwirtschaft Demeter begonnen. Sie arbeitet und wohnt auf einem Hof im Luzernischen.

Keine Mühe, plötzlich sesshaft zu werden? Britt lacht, ihr feiner Nasenring vibriert leicht. «Nein. Ich habe die Zeit in Ecuador gebraucht, um meinen Weg zu finden.» Nach der Schule arbeitete Britt ein Jahr als Au-Pair in Lausanne, weil sie nicht wusste, welche Ausbildung sie beginnen sollte. Danach folgten ein Jahr Kunstschule und dann die Lehre als Grafikerin. Doch schon während der Stifti habe sie gewusst, dass diese Ausbildung nur ein Schritt auf ihrem Weg sein und noch mehr kommen werde. Dennoch beendete sie ihre Lehre erfolgreich. Dann zog es sie aber immer wieder monatelang nach Südamerika, «da lernte ich, alles Gelernte wieder zu verlernen und tauchte ein, in die grenzenlose Fantasie des Dschungels». Heute spricht Sarah Britt fliessend Spanisch und hat auch noch eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin in Ecuador absolviert.

«Als ich im Frühling in die Schweiz zurückkam, wusste ich noch nicht, was ich als nächstes machen sollte.» Doch dann geschah «die Magie», wie es Britt nennt. Sie wollte in einem Bioladen fragen, ob sie dort Arbeit für sie hätten. Im Laden lag eine Zeitschrift, darin ein Artikel über einen Biobauernhof. Britt verschlang den Text. – Auf genau diesem beschriebenen Bauernhof wird sie ihre Lehre zur Biobäuerin machen. «Es kribbelte in mir, als ich das realisierte.»

Ihre Wanderjahre in Südamerika will Britt auf keinen Fall missen. Ihre Liebe zu Ecuador wird bleiben und vielleicht wird sie ihr viertes Lehrjahr auch dort machen können. Und dann später einen Hof in Südamerika betreiben. «Die ganze Welt ist, sie in einem selbst zu entdecken», so Britt etwas pathetisch.

Arbeit als Mittel zum Zweck

Selbstverwirklichung ist eines der Hauptmerkmale der Generation Y, sagt Generationenforscher Peter Kels von der Hochschule Luzern. Kels befasst sich mit verschiedenen Generationen und deren Einbindung in den Arbeitsmarkt, der immer globaler wird. Die Lebenskünstlerinnen Amanda Stämpfli und Sarah Britt tun das in konsequenter Form. Für sie ist Arbeit das Mittel zum Zweck, damit ihre Träume wahr werden.

Die sechsjährige Joya, die Tochter von Amanda Stämpfli, ist schon jetzt eine Weltbürgerin. Das quirlige Mädchen findet sich überall zurecht, parliert gekonnt auf Englisch und Französisch, hat keinerlei Kontaktschwierigkeiten und kann sich auch gut selber beschäftigen. Was macht sie am liebsten? Die Welt entdecken. Und so ihren Weg finden.

Viele Wege führen ins Arbeitsleben

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Umweg, Sackgasse, Abkürzung – Einstiege ins Berufsleben

Quelle: Beobachter Bewegtbild

Text: Birthe Homann