Dieser Beitrag ist Teil unserer Artikelserie «Was 2020 sonst noch geschah – 12 Geschichten über erfreuliche Entwicklungen». Alle Artikel der Serie finden Sie am Ende dieses Artikels oder hier.

Hemotune hat Lukas Langeneggers Leben von Grund auf verändert. Das Projekt machte den Studenten zum Geschäftsführer. Es wird noch viele Leben verändern, da ist sich der 31-Jährige sicher. Mit Hemotune sagt er einem der grössten Gesundheitsprobleme den Kampf an: der Sepsis, auch Blutvergiftung genannt.

Rund 11 Millionen – so viele Einwohner hat Belgien. So viele Menschen sterben jährlich an einer Sepsis. Das sind 20 Prozent aller Todesfälle.

Blutvergiftungen gehören zu den schwersten Komplikationen bei Infektionskrankheiten. Auslöser sind Bakterien, Viren oder Pilze. Gelingt es dem Körper nicht, Krankheiten wie etwa einen Harnwegsinfekt oder eine Lungenentzündung abzuwehren, verteilt sich der Infekt über das Blut, und es kommt im ganzen Körper zu starken Entzündungen. Das Immunsystem reagiert so heftig, dass es sich gegen gesundes Gewebe, Organe und sich selbst richtet. Im schlimmsten Fall führt das zu einem septischen Kreislaufschock, zu Organversagen, zum Tod.

Viele betroffene Kinder

50 Millionen – so viele Einwohner hat Kolumbien. So viele Menschen infizierten sich 2017 mit einer Sepsis. Fast die Hälfte waren Kinder unter fünf, meist in armen Ländern mit schlechten Hygienebedingungen.

Medikamente gibt es keine. Viele Patienten benötigen Intensivpflege. Zu versuchen, Betroffene am Leben zu halten, ist alles, was man tun kann. Rund ein Viertel der im Spital behandelten Patienten sterben. Auf der Intensivstation steigt die Sterberate auf 40 Prozent. Die Behandlungskosten sind gewaltig, am teuersten sind die lebenserhaltenden Massnahmen.

Im Mai 2017 verabschiedet die WHO eine Resolution: Prävention, Diagnose und Behandlung einer Sepsis müssten verbessert werden. Schnell und global.

Eine revolutionäre Maschine

Im selben Jahr entsteht Hemotune, ein Spin-off der ETH Zürich. Damals ist Lukas Langenegger 28, hat Chemie- und Bioingenieurwissenschaften in Zürich und am MIT im amerikanischen Cambridge studiert. Er setzt sich das ambitionierte Ziel, Sepsis zu besiegen. Dafür holt er Carlos Mora an Bord, einen Mikrobiologen, der sich auf das Immunsystem spezialisiert hat. Das Team wächst, inzwischen tüfteln 15 Mitarbeitende an der revolutionären Maschine.

«Wir pumpen Blut aus dem Körper und reinigen es, ähnlich einer Dialyse. Wir verwenden dafür magnetische Kügelchen, die mit Bindungsstellen bestückt sind, an denen nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip nur bestimmte Stoffe haften bleiben. Ein magnetischer Filter entfernt dann die Kügelchen samt den Giftstoffen aus dem Blut», erklärt Langenegger. «Sie erwischen mehrere Botenstoffe und Giftstoffe gleichzeitig. So kann sich das Immunsystem schneller erholen.» (siehe Infografik weiter unten)

Hemotune gewinnt den Swiss Technology Award

Im umkämpften Markt der Medizinaltechnik reicht eine gute Idee oft nicht aus. Doch Langenegger hat Glück und kann Wyss Zurich überzeugen, einen Start-up-Förderer der ETH und Uni Zürich. Fortan wird Hemotune unterstützt. 2020 gelingt der Durchbruch: Das Projekt gewinnt Preise, die Grossinvestoren anlocken. Im November folgt der Swiss Technology Award, der grösste Innovationspreis der Schweiz.

Derzeit bereitet Hemotune mit der Universität Bern eine klinische Studie vor, in der das Gerät ab Ende 2022 im Einsatz ist. Langenegger denkt schon weiter: «Irgendwann wollen wir unsere Technologie ausweiten: auf Autoimmunerkrankungen, Krebs oder Organtransplantationen.»

Infografik: So funktioniert Hemotune

So funktioniert Hemotune
Quelle: Andrea Klaiber

Über eine Blutpumpe (A) wird das Blut aus dem Körper und später wieder zurückgepumpt.

Durch eine Spritzenpumpe (B) gelangen magnetische Kügelchen in das abgezapfte Blut, die Giftstoffe binden können.

Diese Nanomagnete werden dann im magnetischen Filter (C) zurückgehalten, sodass nur gereinigtes Blut zurück in den Blutkreislauf gelangt.

Artikelserie: «Was 2020 sonst noch geschah»
Beobachter-Titelgeschichte: Was 2020 sonst noch geschah
Quelle: Beobachter

• Gleichberechtigung im Sport
Gleichberechtigung ist im Schweizer Sport noch nicht wirklich angekommen. Drei Initiativen wollen das ändern. jetzt lesen


• «Jede Band ist nur so gut wie ihr Publikum»
Die Zürcher Band Annie Taylor schaffte es im Herbst ins internationale Musikbusiness. Sich dort zu behaupten, wäre schon in normalen Zeiten nicht ganz einfach. jetzt lesen


• Die erste Schulterklopfmaschine der Schweiz
Der Aargau wartet mit einer Weltpremiere auf: Anerkennung auf Knopfdruck dank einer Schulterklopfmaschine. Das tut gut – auch wenn man sich damit verdächtig macht. jetzt lesen


• Die neuen Meinungsmacher (Be+)
Gegen Klimawandel, Supermärkte oder Autoposer: Online-Petitionen boomen wie nie zuvor. Dahinter steckt oft mehr als nur eine noble Absicht. jetzt mit Beobachter+ lesen


• Mit «Super-Enzym» gegen Plastikverschmutzung: Die PET-Fresser (Be+)
Japanische Forscher haben ein Bakterium gefunden, das PET verdaut. Für den neuen Hoffnungsträger im Kampf gegen die Plastikverschmutzung gibt es aber noch einige Herausforderungen zu meistern. jetzt mit Beobachter+ lesen


• Er verteilt gebrauchte Laptops an Bedürftige
Tobias Schär macht ausgediente Laptops wieder flott und verschenkt sie an Bedürftige. Begegnung mit einem Macher und Schnelldenker. jetzt lesen


• Die vergessenen Stars von 2020
Sie sind die Auserwählten des Jahres 2020 – doch das Coronavirus hat ihnen die Show gestohlen. Bühne frei für die Tiere und Pflanzen des Jahres: Neuntöter, Stinkmorchel, Robinie & Co.! jetzt lesen


• «Das Albani ist ein Zufluchtsort, ein Daheim»
Der Lieblingsclub soll verkauft werden, da kaufen ihn die Gäste halt selbst: Innert zwei Wochen sammelte der Winterthurer Musikclub Albani eine halbe Million Franken. jetzt lesen


• Eine zweite Chance für Geflüchtete
Studieren statt sinnlos herumsitzen: An der Uni Basel holen Studierende Asylsuchende in den Hörsaal. jetzt lesen


• Mit Mini-Magneten gegen Blutvergiftung
Elf Millionen Menschen sterben jährlich an einer Sepsis. Ein preisgekröntes Schweizer Start-up sagt dem Gesundheitsproblem nun den Kampf an – mit einer revolutionären Technik. jetzt lesen


•  Femizide – verharmlost, verdrängt, vergessen (Be+)
Alle zwei Wochen ermordet in der Schweiz ein Mann eine Frau. Die brutalen Taten werden bagatellisiert. Drei Frauen wollen das ändern. jetzt mit Beobachter+ lesen


• Saubere Produkte aus dem Mafiaboden
Das Start-up Crowd Container liefert nachhaltige Lebensmittel direkt zu den Leuten nach Hause. Das Modell soll die Landwirtschaft weltweit umkrempeln. jetzt lesen

Wissen, was dem Körper gut tut.
«Wissen, was dem Körper gut tut.»
Jasmine Helbling, Redaktorin
Der Gesundheits-Newsletter